Einführung zu FRANK LIPPOLD, FASERLAND
SKD Kunstgewerbemuseum PILLNITZ 30.10.2024
Susanne Altmann (gesprochenes Wort)
Die Entscheidung für das Medium Holzschnitt fällte Frank Lippold 1994, mitten im Studium und während Grabesreden für das Tafelbild ertönten (die ja schon seit Längerem gehalten wurden). Die Figuration selber, als Echo von Propagandamalerei lag ohnehin im Koma (nachdem die so genannten Neuen Wilden dies- und und jenseits der deutschdeutschen Grenze noch einmal kräftig auf die Leinwände eingeschlagen hatten).
Kurzum, es war eine sehr seltsame Zeit für jemanden, der in Dresden (oder auch in Leipzig) Anfang der 1990er Jahre mit einem Malereistudium begann. Und da haben wir noch nicht einmal angefangen, über die politischen und sozialen Verhältnisse dieser Dekade zu sprechen. Während an der Leipziger Hochschule HGB die Flucht nach vor praktiziert wurde – das heißt: über das Ende von Tafelbild und Gegenstand einfach nonchalant hinweg gemalt wurde, währenddessen herrschte in Dresden eine gewisse Unentschlossenheit. Anders als in Leipzig gab es in der Lehre auch keine plötzlich erstarkte Medienkunst – gegen die sich malerischer Widerstand gelohnt hätte. Derartige Kollisionen erleichtern bisweilen die Entscheidungen für junge Künstler*innen, in welche Richtung nun zu gehen sei.
Mangels solcher Widersprüche schien es in Dresden nach 1989 vergleichsweise schwieriger, einen Weg, eine künstlerische Orientierung zu finden. Wenn wir denn ein gewisses Ringen als Teil der Selbstfindung akzeptieren. Insofern wird nachvollziehbar, was Frank Lippold, damals im vierten Semester, bewegte. Letztlich wählte er – in diesem persönlichen Schlüsseljahr 1994 – ebenfalls die Flucht nach vorn, mitten hinein in vermeintliche Feindbilder, vermeintliche Anachronismen. Ohne es an die große Glocke zu hängen, traf er eine künstlerische Entscheidung, die gleichzeitig die Entscheidung für ein damals außerordentlich unpopuläres Medium war: Holzschnitt. Aus heutiger Sicht klingt das nicht mehr so revolutionär, denn die grafischen Künste – experimentell und motivisch innovativ – haben (zum Glück) einen erheblichen Aufschwung erfahren. Wir denken sofort an Positionen wie Jan Brokof, Christiane Baumgärtner, Thomas Kilpper, auch an den unbeirrbaren Franz Gertsch. Ich selbst besuchte 1994, während meines Studiums, eine Ausstellung von Künstlerbüchern im New Yorker Museum of Modern Art und fühlte mich wie eine Entdeckerin, angesichts von Anselm Kiefers monumentalem Holzschnittbuch vom Rhein. Wie mutig, dachte ich, dass dieser Deutsche (ausgerechnet) den Klischees trotzt und (wie auch in seinen quasi aus Holzschnitten collagierten Gemälden) diese angeblich verstaubte Technik für sich reklamiert.
Vor diesen Hintergründen aus Trends, Diskursen und Vorurteilen sollten wir Frank Lippolds damalige Entscheidung verstehen. Ihm war völlig bewusst, sozusagen aus der Zeit gefallen zu sein mit seiner Programmatik. Im übrigen – und weil Frank Lippold ein extrem reflektierter Denker ist – ergab sich an dieser Stelle noch eine zweite Entscheidung, die fast noch seltsamer ist (zumal für einen 24jährigen Kunststudenten) als jene für das Medium. Nämlich, das eigene Werk als Spätwerk, vom Schlusspunkt her nicht nur zu denken – sondern auch auszuführen. Wer bereits gestorben ist, zumal als Künstler*in, hat nichts mehr zu verlieren – nur zu gewinnen. Beeindruckend, diese jugendliche Entschiedenheit Frank Lippolds, hier nicht nur ein Gedankenspiel aufzuführen, sondern den Plan einer kreativen Rückentwicklung praktisch umzusetzen. Aus Perspektive einer Kunsthistorikerin mutet das fast noch gewagter an, weil Spätwerke bekanntermaßen oft gar nicht mehr als Glanzpunkte wahrgenommen werden. Von Tizian oder Rembrandt einmal abgesehen.
Also Spätwerk. Es beginnt schwarz – nicht als Quadrat (das hätte auch keine besondere Bedeutung, weil ja Malewitsch, dieser Revoluzzer, nach dem proklamierten Ende der Malerei – vor gut 100 Jahren – wieder zur Figur zurückkehrte). Es begann also für Frank Lippold mit einem schwarzen Rechteck (winzig im Vergleich zu den heutigen Formaten, fast ein Verlöschen) als Symbol für einen Endpunkt, und mit einer Holztafel, die dieses Statement trug. Schluss, aus und alles auf Anfang. Von diesem inszenierten, autobiografischen Schlüsselmoment an bewegte sich alles rückwärts – glücklicherweise, und der Technik des Holzschneiden geschuldet, sehr langsam, in Echtzeit gleichsam. Insofern begegnet uns in Frank Lippold ein konsequenter Konzeptkünstler; einer, der (wie Roman Opalka, Hanne Darboven oder On Kawara) die eigene Lebenszeit und die Vergänglichkeit als Stilmittel einsetzt. Genauso langsam, aber eben rückwärts.
Etwa um das Jahr 2000 sah ich die ersten geschnittenen Holztafeln von Frank Lippold und war begeistert. Sie wirkten, als hätte sich das ästhetisch vermeintlich Unzeitgemäße in sein Gegenteil verkehrt, und zu einer gültigen, differenzierten Reaktion auf die (früh)digitalen Bildwelten gewandelt. Damals hatte Frank Lippold schon seit einiger Zeit aufgehört, die Platten vom Drucken auf ein Blatt hin zu denken. Diese großen Naturstücke (von denen es in aktuellen Werken Anklänge gibt) genügten ihm und sich selbst als autonome Druckstöcke. Der Prozess des Einwalzen und Druckens, ja selbst des Nachdenkens darüber, welche Kontraste sich später darstellen würden – das alles existierte nur noch als Hinweis, als Möglichkeit für die Betrachter_innen, als Zitat einer kunstgeschichtlichen und -technologischen Variation. Ich schaute mir damals also diese opulenten und doch kargen Baumlandschaften an und hatte keine Ahnung. Überhaupt keine Ahnung davon, dass sie Vektoren waren, die nicht linear in die Zukunft (des Künstlers beziehungsweise „der“ Kunst) wiesen, sondern aus der Zukunft heraus gedacht waren, vom Ende her. Vielleicht war es gut, diesen komplexen und gestrengen Ansatz vor gut 20 Jahren nicht er- oder gekannt zu haben. Als Philosophin hätte mich das wohl metaphysisch überfordert, und als ehemalige Krankenschwester eher in Sorge um den Künstler versetzt.
Heute fällt mir es etwas leichter und Ihnen hoffentlich auch, diesen radikalen Schritt vom schwarzen Rechteck zurück nachzuvollziehen. Und nicht nur aufgrund einer besonderen Denkleistung, sondern auch aus der unmittelbaren Anschauung heraus: Aktuell haben wir hier, nach dreißig Jahren, ein beginnendes Jugendwerk vor uns. Schließlich hat Frank Lippold seine mühsame Selbstfindung schon vor Jahrzehnten abgeschlossen und ist jetzt frei. Er ist auch frei – wer hätte das gedacht – von Urteilen über den Holzschnitt per se, der ja ähnlich wie der Linolschnitt, mittlerweile wieder als sehr gegenwärtig gelesen wird. Hierfür sei die letzte Documenta in den Zeugenstand gerufen, wo sich ausgerechnet an Holzschnitten (das wird oft vergessen) geradezu ein Kulturkampf entfaltet hatte. In diesem Falle handelte es sich um, damals bereits gut zwanzig Jahre alte politische Protestplakate – aus einer anderen Weltgegend, einer Region, wo es auch um die niedrigschwellige Verfügbarkeit von Botschaften ging, für deren Reproduktion der Hochdruck das Mittel der Wahl bildete. Hier im Osten Deutschlands könnten wir uns daran erinnern, dass Hoch- und Siebdruck in einer Zeit, in der es kaum Kopierer, kaum Drucker etc. gab, Vervielfältigung und Sichtbarkeit garantierte. Auch das ist ein Aspekt dieser Technik, der unbedingt mitzudenken ist – vorallem wenn wir (jenseits des puren Kunstgenusses) die Tragweite und Differenz von Frank Lippolds Weg einschätzen wollen.
Ein weiterer Exkurs: Letztendlich erinnert dieser, sein Weg im Kontext von 1994 auch an die einstige Situation der Brücke-Künstler um 1910. Nicht aufgrund ihrer Dresdner Wurzeln, sondern vielmehr, weil auch sie – als völlige Außenseiter des gründerzeitlichen Kunstbetriebs – den Holzschnitt entstaubten, und ihm einerseits als reproduktives Medium für eigene Werbezwecke ein neues Leben verliehen und andererseits eine zeitgenössische Ästhetik verliehen, die auf das Kunstpublikum zunächst verstörend wirkte. Heute sind die Werke der vier Architekturstudenten von der Technischen Hochschule Klassiker.
Und überhaupt Holz: In der Umbruchszeit der vorletzten Jahrhundertwende gingen Künstler*innen, Architekt*innen und Handwerker*innen plötzlich viel bewusster mit dem Holz als Material um. Grenzen zwischen „hoher“ Kunst und Kunsthandwerk wurden eingerissen, und der Besonderheit dieses Materials ganz neue Aufmerksamkeit geschenkt. Denken wir an die praktische Philosophie eines Karl Schmidt-Hellerau, der gezielt Kreative in seine Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst, einlud und darauf aufmerksam machte, welches Potenzial überhaupt in diesem Werkstoff lag. In einem Statement plädierte Karl Schmidt dafür, einen Baum geradezu als Urheber einer Materialerzählung zu betrachten – sinngemäß: das Brett von einem Baum, der auf einer stürmischen Höhe stand, hat eine andere Geschichte zu erzählen als jenes von einem Baum aus der Mitte des Waldes. Nicht umsonst ließen die Brücke-Künstler häufig die Maserung ihres Druckstocks absichtlich durchscheinen und ein stilistisches Element bilden, genauso wie die oft rohen Spuren der Schnitzwerkzeuge. Von diesen Möglichkeiten profitieren die Tafeln von Frank Lippold ebenfalls – auch wenn sie aus standardisierten Sperrholzplatten bestehen. Nicht umsonst hat er mit dem Titel dieser Präsentation „Faserland“ nicht auf einen so genannten Kultroman mit gewisser Patina hinweisen wollen, sondern eben auf den Faserverlauf seines ureigenen Werkstoffes.
An den Titeln von Frank Lippolds frühen (das heißt natürlich: späten Werkgruppen) werden seine Auseinandersetzungen mit dem Material ebenfalls ablesbar. Anfangs noch gedruckte Motive, aus dem Dunkel verschwommen aufscheinende Landschaften oder ganz flächig aufgefasste Porträtköpfe heißen „Brettspiel“ oder „Holzwege“. Das klingt witzig, denn zum Glück ist Frank Lippold nicht nur ein profunder Denker, sondern auch ein humorvoller Typ. Daneben sind Bezeichnungen wie „Brettspiel“ oder „Holzwege“ genauso als Programmpunkte seines Widerstands gegen die Konventionen der Beliebigkeit zu verstehen.
Sein Zyklus „Tafelbild“, dann schon frei von Ambitionen für den Druck, spiegelt einmal mehr diesen Sonderweg. Denn natürlich handelt es sich nicht um herkömmliche Tafelbilder (die hatte der Zeitgeist ja eh für obsolet erklärt, erklären wollen), sondern um beim Wort genommene Holztafeln mit Bildern darauf. Salopp gesagt. Normiertes Sperrholz aus dem Baumarkt. Wie tief konnte das Tafelbild denn noch sinken? Es waren die Technik, extrem sicher und effektvoll ausgeführt, und die oft fast übertrieben romantischen Motive, die das TAFELBILD über einige Umwege wieder zu sich selbst zurückführten. Genauso dürfen wir uns einen reflektierten, reifen Künstler und sein Schaffen denken.
Heute, am Beginn seiner Laufbahn stehend (sic!), geht Frank Lippold mit weniger Reduktion vor, auch hat er noch nicht (sic!) die Reinheit des Mediums Holzschnitt im Blick. Er mischt unbefangen Abstraktion und Figuration, er malt unter und über der geschnittenen Bildebene, lässt – besonders bei den Packbändern ikonografische Referenzen zu Kommerz und Werbung einfließen und manchmal lässt er uns sowohl die Strenge seines „Spätwerks“ vergessen wie auch sein selbst verordnetes Regelwerk. Ein junger Künstler also.